Lippstädter Erklärung


BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN - Regionalkonferenz Ökologie am 31.3.01:


Formuliert von Dr. Karl-Heinz Loske und einstimmig verabschiedet von den Delegierten der Kreise Soest, Warendorf, Paderborn, Hamm, Unna, Gütersloh und Hochsauerlandkreis.

"Ehrfurcht vor dem Leben oder schrankenloser Naturverbrauch?"

In den letzten Jahren ist die gesellschaftliche Wertschätzung des Natur- und Umweltschutzes unter dem Eindruck eines grenzenlosen Wettbewerbs empfindlich gesunken. Die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen wird nur noch als Störfaktor der Globalisierung empfunden. Die Politik unterstellt, dass das ökologische Wählerpotential rückständig und klein ist. Es gilt als fortschrittlich, eine knallharte Wirtschaftspolitik zu betreiben, während man Natur und Landschaft im Abwägungsprozess auf den hintersten Rängen plaziert. Mit Naturschutz werden wirtschaftsfeindliche Schreckensbilder und anti-ökologische Parolen aktiviert. Ökologie wird ausschließlich defensiv und in Konfrontation zur Wirtschaft wahrgenommen.
Die Folgen sind in Westfalen überall zu sehen: Keine flächenhafte Umweltvorsorge, kein sparsamer, verantwortlicher Umgang mit Natur und Landschaft. Stattdessen werden die Menschen durch wirtschaftliche Ängste und ständige Appelle an ihre Geldvermehrung auf eine schrankenlose, immerwährende Bereitschaft zum Naturverbrauch durch Bebauung, Gewerbe, Flugplätze, Straßen und Rohstoffabbau konditioniert. Diese fatale Entwicklung hat in vielen Regionen bereits bedrohliche Ausmaße erreicht und vernichtet die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen. Wohin die Vergewaltigung natürlicher Kreisläufe und der Gefühlsverlust für die Würde der Tiere führt, zeigt der derzeitige Zusammenbruch der Agrarindustrie, die Mitgeschöpfe jahrzehntelang zu bloßen Ressourcen degradiert hat.

BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN waren immer die Partei der Ökologie und eines nachhaltigen Umgangs mit natürlichen Gütern, die sich für eine allmähliche Verteuerung des Naturverbrauchs einsetzt. Dies muß so bleiben. Umwelt und Wirtschaft sind für GRÜNE grundsätzlich gleichrangig. Im Konfliktfall muss eine umfassende, ergebnisoffene Abwägung getroffen werden. DIE GRÜNEN begreifen die ökologische Krise als Chance zu einer umfassenden Wende im Energie-, Verkehrs-, Wasser- und Landbaubereich.
Neueste Technik steht dabei im Einklang mit natürlichen Regelkreisen.
BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN sind besorgt über die rasant zunehmende Naturzerstörung in Mittel- und Ostwestfalen, die derzeit niemand in Frage stellt. Wir tun so, als wären wir die Generation der "Endverbraucher" und hätten unbegrenzt Raum für unsere materiellen Ansprüche. Wir stehen aber in der Verantwortung für kommende Generationen. Natur und Landschaft können deshalb nicht bloß Rohstofflager und Grundlage grenzenloser Ausbeutung sein, sondern sind auch als Orte der Einkehr, Selbstfindung und Stille, als wichtige Wurzeln innerer Erfahrung und Lebensqualität anzusehen.
Ökologie ist deshalb mehr als technokratische Umweltreparatur und Schadenersatz an Natur und Landschaft. Ökologie ist etwas wesentliches, ein zentrales Gestaltungsprinzip aller Politik. Es bedarf mehr als wirtschaftlicher Modernisierung, neuer Techniken und einer konsequenten Anwendung unserer Umweltgesetze. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen für die Agenda 21, für Umwelt- und Landschaftsplanung, Solarenergie, Biomasse, Klima-, Verbraucher-, Tier- und Naturschutz sowie eine grundlegende Wende in der Agrarpolitik. Zur Bewältigung der ökologischen Krise reichen diese äußeren Maßnahmen aber nicht aus.
Um die ökologische Krise an ihrer Wurzel zu heilen, reichen Wissen und Verstand nicht aus. Intellekt allein führt nicht zur ökologischen Vernunft. Heilung erfordert eine umfassende Bewusstseinsänderung. Gewissenhafte, verantwortliche Entscheidungen benötigen eine Verbindung von Rationalität und einer Ethik der Liebe gegenüber allem Leben und der Natur.
Erforderlich ist eine Gleichrangigkeit von Verstand und Gefühl, eine ganzheitliche Sichtweise für Mensch und Natur. Jenseits aller Tagespolitik müssen deshalb neben äußeren, ökologischen Aktivitäten innere Werte wie Achtsamkeit, Respekt, Toleranz, Frieden und Mitgefühl für alle Menschen, Tiere und Pflanzen hinzukommen. Eine derartige Grundeinstellung ist auch pädagogisch fruchtbar, da sie das Verbundensein alles Lebendigen und das Selbstwertgefühl betont. Sie ist damit auch ein wichtiges erzieherisches Mittel gegen Haß, Aggression und Gewalt. Damit vermittelt sie gerade jungen Menschen über die reine Information hinaus eine achtsamere Grundeinstellung für den Umgang mit der Natur. Dafür stehen auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wir haben Ehrfurcht vor dem Leben, weil wir wissen, dass wir selber Leben sind.