Ein Denkmal für den Deserteur
Natürlich weiß jedes Militär, daß der Mensch von Natur aus kaum zum Helden taugt.
Im Gegenteil. Er versucht viel eher sein Heil in der Flucht zu finden - wenn man ihn nur ließe. Besteht nicht eigentlich die Geschichtsschreibung
darin subtil zu zeigen wie auf raffinierteste Weise der Fluchtinstinkt des Menschen unterbunden wird, wenn auch
von den Auswirkungen des Zerstörungstriebes die Rede ist? Die Soldaten müssen vor allem daran gehindert
werden wegzulaufen. Aus diesem Grund werden sie dressiert wie Zirkuspferde. Mit der Hoffnung auf Beute
werden sie gelockt. Mit Alkohol betäubt. Man bedroht die Soldaten mit dem Tod und putscht das Image des
klugen, tapferen Führers auf, der doch nur "seine Jungs liebt." Vom Heldenkult ist es nur ein kurzer Weg zur
Verblödung.
Schon seit Jahrhunderten existiert ein moralisches Fluchtverbot. Desertation- der größte militärische Sündenfall.
Ein Verbrechen, das mit dem Standgericht geahndet wird. Desertieren kann man nur von dem Feind verlangen,
da für ihn die militärische Lage ohnehin aussichtslos geworden ist. Also soll er doch endlich Vernunft annehmen.
Ich fordere, daß endlich ein Denkmal für den unbekannten Deserteur aufgestellt wird. Ein Standbild, dessen
Reproduktion in jedes Schulbuch gehört. Natürlich würden sich bei der Darstellung einer derartigen Figur
zahlreiche Probleme einstellen. Eine reizvolle Aufgabe. Es wäre an eine Statue zu denken mit entschlossenem
Charakterausdruck. Kein Hasenfuß mit verhuschten Zügen. Denn die Pose dieser Figur soll zur Identifikation
animieren. Vielleicht sollte sie gerade die Pharisäermaske der Selbstgerechtigkeit abreißen. Diesen stereotypen
Blick der Selbstopferung, die an den Ruhm denkt bei nachfolgender Götterdämmerung. Gleichzeitig legt sie auch
den Militärrock ab, die Uniformität, die zum kollektiven Wahnsinn. verführt. Sicher wäre der Ausdruck der
Verweigerung, das Wissen um die Tugend des Ungehorsams am schwierigsten zu treffen. Als Standort könnte
man sich den Marktplatz vor dem Rathaus vorstellen.
Wenn dieser Deserteur es auch noch verstünde Humor auszustrahlen, einen Humor, der Sicherheit vermittelt,
weil sich sein Standpunkt nicht mehr an einen engen, nationalen Horizont gebunden fühlt, an die nationalen
Komplexe und Neurosen, an die Lächerlichkeit im Pathos, dann wäre es auch noch ein gelungenes Kunstwerk.
Das menschlichste Standbild, das man sich vorstellen kann. Nicht immer nur die falsche Träne für den
unbekannten Soldaten. Diesen tumben Jüngling mit dem Muskelarm und dem träumenden Vaterlandsblick. Ein
entschlossener Zug um die Mundwinkel, als memoriere er nationale Psalme. Ein Symbol für das anonyme Sterben
der Masse.
Vorbei auch die Bewunderung für den bekannten General, der auf seinem Sockel über den Niederungen des
Alltags schwebt. Ihm müßte seine Ordensflut schwer wie Blei, wie ein Mühlstein am Hals hängen, wenn er daran
denkt, daß er bei seinen Untergebenen, dem Kanonenfutter, die Angst vor einem "schändlichen Tod" - was immer
er auch darunter verstand - schürte. Er trieb sie also entschlossen in den Selbstmord, während sein Blick in der
Vergangenheit ruhte, die er für die Zukunft hielt. Im Vertrauen darauf, daß die zunehmende historische Distanz
ihm die Absolution erteilen wird. Zumal sein Denkmal den Enkeln glaubhaft machen soll, daß er für den Frieden
gekämpft hat, Derartige Denkmäler erinnern immer nur an die Vergangenheit, obwohl sie doch vor der Zukunft
warnen sollen.
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